Mindrift
If you like please press play and read the poem that I wrote to the music of György Kurtág
MINDRIFT
KURTÁG 3
Es ist Nacht geworden im Garten. Wenn der Mond
die Gesichter
der Statuen
berührt,
wird der Geruch der Nacht stärker.
Ich sehe meine eigene Hand vor Augen
nicht.
Bist Du noch da?
Ich weiß, dass Du da bist.
Zusammen steigen wir in die Welt hinab,
in der der Mond
die Winkel der Seele beleuchtet, die nicht beleuchtet werden
wollen.
Es mischt sich darin ein Gefühl der Scham, aber jede Scham
ist auch immer die Möglichkeit, eine Angst zu überwinden.
Wir fühlen uns stark.
Wir fühlen uns verbunden mit dem Weltall.
Wie auf einen Käfer,
der in der Nacht
in der Wiese sich bewegt, schauen wir auf uns selbst mit einer Taschenlampe herab, wie wenn wir uns
selbst beim Träumen beobachten.
Wir wissen nicht, ob wir das Richtige tun,
aber wie jedes Insekt und Tier richtet sich auch der
Mensch
nach der Natur.
Wir stellen Fragen, sind aber
froh, wenn wir unser Gesicht auf das weiche Moos betten können und schlafen.
Ahnend, aber unschuldig wie
ein Kind
im Bauch der
Mutter.
—
BORIS RANDZIO
Fotos©Gert Weigelt
After writing the poem I choreographed to the text together with the music, this is the third part of six. All of them is the piece Mindrift.
MINDRIFT
YOUNG MOVES
Plattform Choreographie Ballett am Rhein
Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf-Duisburg
Premiere -18.Juni 2016- Theater Duisburg
Music
Signs, Games and Messages Nr. 1 bis 6 für Viola solo von György Kurtág
Choreographie
Boris Randzio
Stage
Costumem Design
Lightning Design
Franz-Xaver Schaffer
Balletmaster
Callum Hastie
Dancers
Christine Jaroszewski, Anne Marchand, Virginia Segarra Vidal
Fotos©Gert Weigelt
Zeichen, Spiele, Botschaften
Mindrift von Boris Randzio
Mindrift nennt Boris Randzio seine erste Choreographie für das Ballett am Rhein – ein Kompositum aus den beiden Worten „mind“ und „drift“, das umschreibt, worum es ihm in seinem Trio für die drei Tänzerinnen Christine Jaroszewski, Anne Marchand und Virginia Segarra Vidal geht: eine Kommunikation zwischen drei unterschiedlichen Charakteren, das Wandern der Gedanken von einem zum nächsten, aber auch das abdriften, das alleine gelassen werden, um schließlich an die anderen doch wieder anzuschließen. Ein Pfeiler durchschneidet in Gerrit Frohne-Brinkmanns Bühnenentwurf den Raum. Gäbe nicht ein Polster Schutz, könnte eine Kollision sehr gefährlich sein – die Stütze wird zum Störfaktor, ragt wie ein Stachel hinein in die poetische Welt, die Boris Randzio mit seinem Tanz evoziert.
In kreisförmigen Formationen, ineinander verschlungen, sich stützend, aber auch von auseinanderziehenden Energien geprägt, finden die drei Tänzerinnen zunächst zu Verbünden, die sich wie aufblühende und verwelkende Pflanzen öffnen und wieder schließen. Immer wieder berühren sie die Köpfe ihrer Partnerinnen, umfassen sie wie zum Schutz, schaffen Verbindungen, als würden sie gegenseitig in ihre Gedanken hinein hören, finden aber auch zu skurrilen Momenten, in denen sie wirken, als würden sie gemeinsam etwas aushecken. Zum ersten und dritten Satz seiner Choreographie hat Boris Randzio die beiden Gedichte Kurtág 1 und Kurtág 3geschrieben, die ihm als Subtext und Assoziationsfeld für seine Arbeit dienen. In Kurtág 1 heißt es u.a.: „Lässt Du mich in Deinen Garten hinabsteigen / Mich interessiert der Geruch / von Deiner Wiese / ich habe Angst dass Du mich / nicht willst / bei Dir aber die Neugierde / ist zu groß / Und unsere Gedanken / kreisen immer / wieder / zurück an denselben Ort / Wir denken an die Welt
um / uns / Wir denken die Welt um uns / aus / sie ist in unseren Köpfen.“ Die Bewegungen der drei Tänzerinnen wirken nicht flüssig, immer wieder baut Boris Randzio kleine Widerstände, ein kurzes Innehalten ein, so dass man als Zuschauer den Eindruck gewinnt, man sei Zeuge der Entwicklung eines Gedankens, schaue den drei Frauen bei der „Verfertigung“ ihrer Bewegungen und damit einem gerade stattfindenden Prozess des Entstehens zu, in dem nichts selbstverständlich ist.
Einen musikalischen Partner für eine derartige Bewegungssprache hat Boris Randzio in György Kurtág gefunden (*1926), aus dessen Signs, Games an Messages für Viola solo er die ersten sechs Stücke als Basis seiner Choreographie wählte. „Sie ist zerbrechlich, schutzlos, wie unbeholfen tastend durchs Weglose, schwankend zum Rand des Verstummens hin – aber dabei glühend von emotionaler Intensität“, schrieb Hartmut Lück einmal treffend über die Musik des ungarischen Komponisten. Seine Signs, Games and Messages für verschiedene Streicherbesetzungen sind ein seit 1989 immer weiter fortgeschriebenes „work in progress“ – eine Art musikalisches Tagebuch, in dem Kurtág mit verschiedenen „In memoriam“-Kompositionen nicht nur Freunden und Künstlern gedenkt, sondern sich in einem quasi geheimen Netzwerk auch auf Musik, Filme und Gedichte anderer Autoren bezieht. Die zwischen wenige Sekunden und viereinhalb Minuten umfassenden Miniaturen sind eine Entdeckung des Vielfältigen im Kleinen, die Essenz zwischen oft nur zwei Tönen. Mittels elementarer akustischer Gesten entsteht ein musikalisches Kommunikationssystem, das archetypisch und somit auch ohne logisch-verbale Zusätze unmittelbar verständlich ist: Zeichen, Spiele und Botschaften, die in ihrer ungeschützten Sensibilität und Bekenntnishaftigkeit auch ein unmittelbarer Verweis auf die Möglichkeiten und Bedingungen des Menschseins sind.
Seinen drei Tänzerinnen widmet Boris Randzio je ein Solo, in dem er ihre verschiedenen Charaktere, aber auch unterschiedliche Atmosphären entfaltet: „Es ist ein Traum ... langsam ... so langsam, dass die Zeit gedehnt wird“, schreibt er über Anne Marchands Szene, während er sich
für Virginia Segarra Vidals theatralisch angelegtem Solo von den fratzenhaft-grotesken Gesellschaftsbildern des ungarischen Malers Imre Földes anregen ließ. „Christine Jaroszewski hat einen starken Charakter, sehr viel Phantasie, bringt aber mit einem Lachen, das nicht nur fröhlich ist, sondern als Auslachen auch vernichtend, auch etwas Hässliches in die Welt meines Stückes hinein“ – so Boris Randzio.
Kurtágs musikalisches Kommunikationssystem findet in Boris Randzios Choreographie ihr Pendant in einem körperlich-gestischen Kommunikationssystem, dessen Dynamik und Vitalität einer gelebt-erlebten Physis entspringt, zugleich aber den drei Tanzenden auch einen unsicheren Ort zur Bewegungserzeugung einräumt. „Die drei Frauen sollen zu jedem Zeitpunkt einander spüren, selbst wenn sie sich nicht sehen“, schreibt Boris Randzio über die letzte Passage seiner Choreographie: „Wie wenn die Luft erfüllt ist von den Schwingungen der Gedanken.“
Anne do Paço
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